Das Unterrichtsprinzip

Von fünf Interessenten, die mich aufsuchen, um bei mir die Kunst des Kubayamashi-Do zu erlernen, fragen mich durchschnittlich drei Personen bei der ersten Kontaktaufnahme, wie lange es dauern würde, bis sie das Gelernte einsetzen können, sie sich richtig verteidigen können oder in welchen Intervallen ihre Gürtelprüfungen stattfinden würden. Um auf solche Fragen eine gerechte Antwort geben zu können, kann ich jedem einzelnen nur sagen: „Wenn du soweit bist“; Sollte ich mich je dazu verleiten lassen Versprechungen zu machen, dass der Schüler innerhalb einer bestimmten — für mich werbewirksamen — kurzen Zeit gegen jegliche Angriffe auf der Straße gewappnet sei oder in regelmäßigen Intervallen von drei Monaten Gürtelprüfungen absolvieren würde, müsste ich dies mit der Zusatzerklärung verbinden, dass der Schüler dies trotz möglicher Unzulänglichkeiten zugesichert bekommen würde. Vorrangig vor meinen didaktischen und pädagogischen Fähigkeiten zählen ganz eminent die Aufnahmefähigkeit und das Umsetzungsvermögen jedes einzelnen Schülers. Schickte ich einen Schüler ungeachtet seiner tatsächlichen Fähigkeiten in regelmäßigen Intervallen zu Gürtelprüfungen, so könnte dies nur unter der Prämisse geschehen, dass die vom Schüler geleistete Qualität vollkommen irrelevant sein müsste. Im Falle eines solchen Verfahrens würde sich die Anerkennung tatsächlich nennenswerter Leistungen völlig aufheben. Denn, der sich erfolgreich bemühende Schüler erführe keine reelle Würdigung seiner Leistungen, weil diejenigen, die sich entweder keine Mühe geben etwas richtig zu lernen oder jene, welche es besser vorziehen sollten sich in anderen Disziplinen zu üben, würden mit ihm auf einer Stufe stehen und wären entsprechend gleich zu huldigen. Das Ziel, der Ansporn und die Qualität gingen so für den wahren Schüler unweigerlich verloren.

Ich will gewiss keinen meiner Schüler in seinem Vorankommen in irgendeiner Form bremsen, doch bestätigt mir meine jahrzehntelange Erfahrung im Umgang mit Schülern, dass trotz meiner Gewissenhaftigkeit im Unterricht nicht einer wie der andere lernt. Zu verschieden sind die Bereiche des Unterrichts, zu verschieden das Auffassungsvermögen der Schüler. Meist wiegt ein Talent in einem Lernbereich ein Defizit in einem anderen Lernbereich wieder auf. Jedoch nicht immer. Prinzipiell gebe ich jedem Schüler die Zeit, die er benötigt eine Sache zu erlernen, bevor ich ihm eine auf diese Sache aufbauende Aufgabe stelle. Je Unterbereich einer Trainingseinheit wird deshalb maximal eine neue Technik einstudiert. Wenn der entsprechende Unterbereich des jeweiligen Lernbereichs erneut trainiert wird, wird der gesamte bisher erworbene Satz Techniken, einschließlich der letzten Technik, geübt. Werden die Techniken beherrscht, erfolgt in der nächsten Trainingseinheit der Unterricht der nächsten Technik. Das Unterrichtsprinzip setzt sich so unendlich fort. Dieses Prinzip hat zur Folge, dass der Schüler sich nicht auf die quantitativen Aspekte des Unterrichts konzentriert, sondern auf die tatsächliche Qualität, indem er sich unter realistischen Gesichtspunkten mit der Präzision und der angemessenen Dynamik jeder einzelnen Technik vertraut macht, bevor er sie als einen Teil seines Repertoires behandelt.

Hinsichtlich des Vorankommens und der daraus resultierenden Motivation des Schülers zielorientiert zu lernen, ist es für den Lehrer unumgänglich, ein strukturiertes Ausbildungsprogramm zu erstellen, das die zu erlernenden Inhalte klar definiert. Entsprechend muss die Qualität jeder einzelnen Technik — weitgehend frei von Subjektivität — bewertbar sein, was eine klare Definition der Bewertungskriterien erfordert. Gemessen an diesem Unterrichtsprinzip kann die gestellte Frage, wie schnell sich ein Erfolg ergeben würde, nur vom optimal lernenden Schüler ausgehend beantwortet werden. Gäbe es den Fall, dass ein Schüler jede Lektion in solcher Weise verarbeitet, dass er bereits beim obligatorischen ersten Wiederholen der Lektion beweisen würde, sie vollkommen verstanden zu haben und zu beherrschen, würde er bereits im folgenden Unterricht des entsprechenden Lernbereichs die nächste Technik zum Lernen zugänglich gemacht bekommen. Prinzipiell ist dies auch möglich, in der Praxis wirken dem jedoch all zu oft zu viele andere Einflüsse entgegen, die u. a. auch außerhalb des Schulungsbereichs, also in privaten oder beruflichen Bereichen des Schülers begründet liegen.

Sollte es dem Schüler möglich sein, ein Unterrichtsangebot von fünf Tagen zu je 2,5 Stunden in der Woche zu nutzen, könnte er bei optimaler Leistung als Richtwert einen Prüfungsintervall von drei bis vier Monaten erwarten. Die Kenntnisse eines Schülers des 8. Kup (gelber Gürtel) sind bei diesem Unterrichtsumfang durchaus als wehrhaft zu bezeichnen. Doch gilt zu bedenken, dass das tatsächliche Vorankommen trotz optimalen Angebots hinsichtlich der Unterrichtszeiten, didaktischen Inhalte und pädagogischen Fähigkeiten des Lehrers stets vom Engagement und dem Umsetzungsvermögen jedes einzelnen Schülers abhängt. Prophezeiende Prüfungstermine sollten also nicht veranschlagt werden, sondern erst dann bestimmt werden, wenn der Schüler die hierzu nötige Reife erworben hat.