Der Dobok

Der traditionelle weiße Taekwondo-Anzug (Dobok) bestand ursprünglich aus einer offenen Jacke (Sang-I), der Hose (Ha-I) und einem dem Rang oder Grad des Trägers entsprechenden farbigen Gürtel (Ty). 1968 wurde erstmals das spezifische Erscheinungsbild des traditionellen Doboks den zeitgemäßen Anforderungen angemessen verbessert, wobei — neben der Optimierung der Tragequalität — die Abgrenzung gegenüber anderen Kampfkunstarten ebenso mit in die Kriterien zur Änderung der Form des Doboks einfloss, wie die Huldigung des historischen Hintergrunds des Taekwon-Do.

Seither hat sich die Qualität des traditionellen Doboks in ihrer Entwicklung zum modernen Formen- und Wettkampf-Dobok auch weiterhin stark verändert. Die offene Jacke wurde durch die moderne geschlossene Jacke mit V-Ausschnitt ersetzt, die Hose wurde länger. Sie erhielt zur Ermöglichung der sportlichen höheren Tritte einen verbesserten Zwickel und die sehr nachteilige primitive Schnürung des Hosenbundes wurde zeitgemäß, durch einen Gummibund ersetzt.

Auch der Dobok, der im Kubayamashi-Do getragen wird, erfüllt wesentliche Kriterien, welche durch praktische und philosophische Anliegen begründet sind. Grundsätzlich entspricht der Dobok für die Teilnahme an Taekwondo-spezifischen Formen- und Wettkampf-Turnieren dem modernen weißen Taekwondo-Dobok. Im praktischen Unterricht wird jedoch ein anderer Dobok getragen. Aufgrund der Belastungen, wie sie beispielsweise während der Übungen der Selbstverteidigungslehre (Hosinsul) — insbesondere durch massive Angriffe auf den Oberkörper und dessen Bekleidung — erfolgen, wird eine offene Jacke getragen, wie sie beispielsweise für Ju-Jutsu oder Karate vorgesehen ist. Das Revers einer geschlossenen Jacke mit V-Ausschnitt ist für dynamische Angriffe nicht geeignet, da es solchen Belastungen nicht Stand halten würde.

Auch der für den Unterricht des traditionellen Taekwon-Do vorgesehene Dobok mit offener Jacke kann getragen werden, jedoch ist er aufgrund seines — relativ zum Ju-Jutsu-Anzug — sehr dünnen Materials ebenfalls nicht ausreichend belastbar, um die Techniken der Hosinsul mit einer realitätsnahen Dynamik üben zu können.

Im Kubayamashi-Do werden ebenfalls die Farben der Doboks — entsprechend dem Rang und dem Status des Trägers — voneinander unterschieden. Während Anfänger und einfache Schüler einen weißen Dobok mit offener Jacke tragen, präsentiert sich ein jeder Meister, Trainer und jedes Mitglied des Demoteams in einem schwarzen Dobok mit offener Jacke. Dies hat einen philosophischen Hintergrund.

Ursprünglich symbolisiert der weiße Dobok neben seiner Reinheit — und damit verbunden auch der Reinheit seines Trägers — die Gleichheit jener, welche sich dem gemeinsamen Praktizieren des Taekwon-Do widmen. Hierdurch sollte möglichen charakterlichen Defiziten wie Selbstverherrlichung, Hochmut, Arroganz sowie Verblendung durch Eitelkeit entgegengewirkt werden. Selbstverständlich gehören die damit angestrebten Tugenden wie Bescheidenheit, Edelmut, geistige Klarheit und Erleuchtung (Satori) trotz der sich abgrenzenden schwarzen Kleidung jener, die bereit sind, tiefer in die mentalen Belange des Kubayamashi-Do einzutauchen und sich damit auch bereitwillig größeren körperlichen Strapazen aussetzen, auch im Kubayamashi-Do zu jenen Zielen der Charakterformung, welche durch den Unterricht angestrebt werden. Aber gerade auch deshalb vergegenwärtigen wir uns, dass wir uns unterscheiden.

Das Bewusstsein über unsere Unterschiedlichkeit — nicht nur der Kampfkunst Kubayamashi-Do zu anderen Kampfkünsten, sondern auch jedes einzelnen zu den anderen Mitgliedern innerhalb der Interessengemeinschaft — manifestiert sich jedoch nicht in vermessener Behauptung, wir seien etwas Besseres, sondern in dem Bewusstsein über die uns definierende Individualität.

So ist das Kubayamashi-Do nicht nur eine sehr individuelle Form des Taekwon-Do, die sich sehr von den anderen uns bekannten Stilrichtungen des Taekwon-Do unterscheidet, sondern es verbindet auch jeder Einzelne, ab einer höheren mentalen Entwicklungsstufe, seine ihm eigene Individualität mit dem Kubayamashi-Do und schafft so seine ihm ureigene Variante dieser Kampfkunst.

Die Unterscheidung der beiden gegensätzlichen Farben der Doboks besteht also in der Anerkennung des Unterschieds, welcher offen bekundet wird, statt dass darüber hinweggesehen wird. Denn nur die Unterschiede machen die Qualität aus. Homogene Erscheinungsbilder stellen in Bereichen, in denen es um menschliche Genialität geht, keine nennenswerte Bereicherung dar, es sei denn, militärische Konformität oder künstlerische Symphonien sind das angestrebte Ziel. Es sind immer einzelne, welche die Welt verändern und ihre Entwicklung vorantreiben, niemals aber jene Massen, deren Charakter rein auf Konformität mit dem Bestehenden, statt auf der Bereitschaft zum Außergewöhnlichen, beruht.

Dies heißt jedoch nicht, dass es im Kubayamashi-Do keine Konformität gibt. Ebenso steht im Kubayamashi-Do auch der Gemeinschaftssinn an einer sehr hohen Stelle, insbesondere weil die Gemeinschaft in gruppendynamischen Prozessen — ob physisch oder psychisch — dem Einzelnen ein hohes Maß, an Kraft und Durchhaltevermögen bieten kann. So tragen, wie bereits genannt, auch die Anfänger und die einfachen Schüler im Kubayamashi-Do einen weißen Dobok mit offener Jacke, wie dies auch in den meisten artverwandten Kampfkunstarten üblich ist. Sie bilden die primäre Gemeinschaft, welche jene, die im Kubayamashi-Do einen schwarzen Dobok tragen, als einen Teil von ihr hervorbringt.

Diese primäre Gemeinschaft kann nicht einfach mit jenen, die bereit sind, tiefer in die mentalen Belange des Kubayamashi-Do einzutauchen, gleichgestellt werden, da eine Identifikation mit ihnen in diesem Entwicklungsstadium noch nicht möglich ist. Allein der Versuch würde bereits die Anerkennung des bestehenden Unterschieds innerhalb der eigenen Gruppe auslöschen. Es gäbe nur die Unterscheidung zwischen der eigenen inneren Gruppe — ob Schule oder Verein — und der anderen äußeren Gruppe all jener, die sich ansonsten einer Kampfkunst widmen. Denn so würde lediglich aufgrund der Mitgliedschaft in der primären Interessengemeinschaft der Schule oder des Vereins einem jeden anerkannt werden, er befände sich mental auf einem höheren Bereitschaftsniveau. Doch wie alle Kampfkunstlehrer wissen, ist die Bereitschaft, einer Kampfkunstgemeinschaft beizutreten, nicht mit der Bereitschaft gleichzusetzen, sich mental und durch physische Leistung mit ihr zu identifizieren.

Deshalb bedarf es zu Beginn der mentalen Erziehung eines Kampfkunstschülers der Notwendigkeit einer streng reglementierten Linie, welche die zu erlernenden Prinzipien vollends zu vermitteln vermag, bevor der Schüler — diese Prinzipien wirklich verstehend — sie durch seine individuellen Qualitäten zu einer größeren Sache macht, als sie bis dahin waren. Dies ist ebenso erforderlich wie es auch in der Entwicklung eines Kindes notwendig ist, anfänglich die Erziehung und den schulischen Unterricht nach bestem Wissen entsprechend den Erfordernissen und den allgemeinen Regeln der jeweiligen Kultur sowie einer dem Kind gerechten Befriedigung seiner Bedürfnisse auszurichten. Die Differenzierung der dem höheren Kreis zuzuordnenden Mitglieder der Interessengemeinschaft, also jener, welchen wegen der Intensität ihrer Hingabe in der Auseinandersetzung mit dem Kubayamashi-Do der Unterschied zu den anderen anerkannt werden muss, dient somit nicht nur zur Definition ihrer selbst, sondern auch als Ausdruck der Bewusstmachung von Unterschieden nach außen hin. Dem Außenstehenden wird somit vermittelt, dass Unterschiede bestehen, er dem Unerwarteten begegnen wird und von daher wachsam sein soll.

Aber auch ebenso, wie die Rangordnung durch die verschiedenen Farben des Tys festgelegt ist und nicht nur zur Huldigung des Inhabers eines Ranges dient, sondern ihm auch seine Pflicht vergegenwärtigt, sich gebührend zu verhalten, so ist auch das Recht, den schwarzen Dobok zu tragen, damit verbunden, sich fortwährend seines Status bewusst zu sein und ihn ehrend einzusetzen.

Siehe auch: Gürtelbinden